Einblicke in ein Rundtischgespräch

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Einblicke in ein Rundtischgespräch

Am 22.02.2023 hatte Herr S. einen Unfall mit einem E-Scooter. Der 52-Jährige erlitt dabei mehrere Knochenbrüche und ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Es folgten mehrere Operationen zur Versorgung des Patienten. Herr S. wurde während vier Wochen auf der Intensivstation einer universitären Klinik in der Schweiz betreut. Ende März wurde der Patient direkt von der Intensivstation in die hausinterne Frührehabilitation verlegt. Die Angehörigen stellten sich nach mehreren Gesprächen mit den zuständigen Ärzten und Ärztinnen auf eine lange Zeit der Rehabilitation ein, da jeweils die Rede von mehreren Monaten war.

Mitte April musste Herr S. erneut notfallmässig operiert werden, weil sich eine Infektion im Bereich der künstlichen Schädeldecke und dem Shunt entwickelt hatte. Es folgten weitere drei Wochen auf der Intensivstation, bevor Herr S. erneut in die Rehabilitation übertreten konnte.

Immer im Wissen, dass der Weg der Rehabilitation ein sehr langer ist und viel Geduld braucht, weil die Fortschritte oft klein sind und es ausserdem Rückschritte gibt, verstand die Familie nicht, warum ihnen zwei Wochen später in einem kurzen Gespräch mitgeteilt wurde, dass der Patient wegen zu weniger Fortschritte in ein Pflegeheim verlegt werden sollte.

Die Nichte des Patienten wandte sich an ihren ehemaligen Arbeitgeber, der ihr den Kontakt zur Patientenstelle Zürich vermittelte.

Einige Tage später fand der erste Kontakt per Videocall statt und es wurde schnell klar, dass sich die Familie von Herrn S. nicht ausreichend informiert und nicht richtig verstanden fühlte. Es war für sie nicht verständlich, warum die Rehabilitation nach weniger als zwei Monaten abgebrochen werden sollte. Die Verlegung in ein Pflegeheim empfanden sie als Abstellgleis.

Durch die Offenheit und Gesprächsbereitschaft der Familie auf der einen und den vielen ungeklärten Fragen auf der anderen Seite bot sich die Möglichkeit eines Rundtischgespräches an.

Ein Rundtischgespräch ist eine Form des Austausches oder eine Art Diskussionsrunde, bei der alle Beteiligten der Situation an einem runden Tisch gemeinsam versuchen, die bestehenden Probleme zu besprechen. Im Fall der Familie von Herrn S. war gewünscht, dass neben dem zuständigen Assistenzarzt und Oberarzt, die Bezugspflegefachperson und auch die weiteren involvierten Personen der Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie an diesem Gespräch teilnehmen würden.

Der runde Tisch symbolisiert in diesem Zusammenhang Gleichberechtigung und ermöglicht es allen Teilnehmenden, gleichwertig an der Diskussion teilzunehmen. Im Gegensatz zur traditionellen Hierarchie, in der ein Leiter, ein Leiter oder Moderator, eine Moderatorin die Diskussion steuert, wird beim Rundtischgespräch Wert auf eine freiere, offene und gleichberechtigte Kommunikation gelegt. Alle Teilnehmenden haben die Möglichkeit, ihre Meinungen, Ideen, Fragen und Standpunkte auszudrücken und auf die Beiträge der anderen einzugehen.

Rundtischgespräche dienen dazu, komplexe Probleme und Situationen zu diskutieren, alle auf den gleichen Wissensstand zu bringen, Erwartungen zu klären, gemeinsame Lösungen zu finden, Entscheidungen zu treffen oder einfach verschiedene Standpunkte zu beleuchten. Oftmals werden diese Gespräche auch genutzt, um einen Konsens zu finden. Das grosse Ziel bei solchen Gesprächen ist es, die verschiedenen Interessengruppen an einem Tisch zu versammeln, um gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten.

In einem Rundtischgespräch wird normalerweise auf formelle Strukturen wie feste Rednerreihenfolge verzichtet. Es wird versucht, ein offenes, dialogisches und kooperatives Klima zu schaffen. Dies fördert die Kommunikation und den Informationsaustausch. Dabei ist es wichtig, dass alle Teilnehmenden die Möglichkeit haben, ihre Meinungen und Anliegen zu äussern und dass respektvoll zugehört wird und alle berücksichtigt werden.

In der Vorbereitung auf das Gespräch hat die Familie ihre Fragen und Bedürfnisse zusammengetragen und formuliert.

Am Gespräch in einem Besprechungsraum der Neurorehabilitationsklinik des universitären Spitals nahmen der Oberarzt der Abteilung, die Ehefrau von Herrn S., seine Nichte und jemand von der Patientenstelle Zürich teil.

Als erstes wurden die aktuelle Situation und der Zustand von Herrn S. dargelegt. Der Arzt zeigte die aktuellen Bilder des Gehirnes des Patienten, auf denen die geschädigten Bereiche sichtbar waren. Die Zeit auf der Rehabilitationsstation wurde zusammengefasst, die Fortschritte seit Eintritt wurden aufgezeigt. Der Arzt zeichnete eine ernüchternde Prognose mit wenig weiteren Fortschritten, weshalb er sich auch für eine Verlegung in eine Langzeitinstitution aussprach.

Von der Seite der Familie S. wurden unter anderem das Alter des Patienten, die ängstliche Persönlichkeit, die Sprachbarriere sowie die kurze Rehabilitationszeit angesprochen. Die Familie wünschte klar die Weiterführung der intensiven Rehabilitation.

Am Ende des Gespräches einigte man sich, dass Herr S. für eine Verlegung in eine andere Neurorehabilitation der Schweiz angemeldet werden soll. Sollte sich eine der Kliniken bereit erklären, den Patienten aufzunehmen, würde er dorthin verlegt werden.

Zwei Wochen später kam die Zusage einer Klinik, dass sie Herrn S. übernehmen würde. Als letztes Update erreichten uns folgende Worte der Nichte: „Mein Onkel macht gute Fortschritte und die Ärzte und Ärztinnen in der Rehaklinik sind sehr engagiert und versuchen verschiedene Ansätze. Mein Onkel durfte sogar ein bisschen Brei essen. Wir sind sehr zufrieden.“

Patientenstelle Zürich

Patientenstelle Zürich